Mittwoch, 29. April 2009

Sühne oder Solidarität?

"... Erhalten geblieben ist die Kategorie der Stellvertretung. Sie ist eines der grundlegenden Lebensgesetze des Gottesvolkes. Und sie bedeutet: Einer kann und darf, und darüber freut sich Gott, für den anderen bei Gott etwas tun. Das betrifft Beten, Fasten und – für einen begrenzten Zeitraum in Korinth – sogar die Taufe. Hier ist vor allem wichtig, dass der gekreuzigte und erhöhte Herr stellvertretend für uns beim Vater eintritt (Römer 8; Hebr 7 und 9). Er bringt in seiner Fürbitte das Verdienst seines Kreuzestodes vor Gott ins Spiel.

Ganz lebendig ist ferner die Bedeutung vergossenen Blutes. Dass Blut nach biblischer Anschauung Leben bedeutet und eben deshalb striktes Eigentum Gottes ist, bringen uns gerade Moslems und Juden wieder bei. Und der, auf dem Blut eines anderen liegt, gehört damit Gott (positiv wie negativ). In den Sakramenten der Taufe und der Eucharistie wird das Blut Jesu Christi sakramental durch Wasser beziehungsweise durch Wein dargestellt. Das Wasser wäscht uns zum Zeichen, dass Christi Blut dies bewirkt, den Wein trinken die Jünger zum Zeichen des Neuen Bundes, gestiftet durch Christi Blut. So kann ich die Meinung betulicher Seelsorger nicht akzeptieren, die Menschen verstünden angeblich die Bedeutung der Rede vom Blut nicht mehr. Es genügt nur ein wenig Bibel- und Volkskunde. Und gerade für Jugendliche ist vieles höchst interessant, was die Älteren für unvermittelbar halten.

Denn was das kultisch vergossene Blut angeht, da waren die Menschen stets dankbar für dieses unverhältnismäßige Mittel, den verdienten Zorn der Götter zu besänftigen. Gott wertet Jesu vergossenes Blut aus heidenchristlicher Perspektive wie rituell vergossenes. Es ist, wie wenn Gott zu den Christen sagt: „Nehmt es daher, so wie ihr es kennt, als Zeichen dafür, dass nun alles gut ist. Zu eurer Beruhigung, ja als mein Evangelium über den toten Christus biete ich euch an: Nehmt dieses Blut als Zeichen der Versöhnung meinerseits.“ So ist diese Vergebung hier dadurch eindrücklich geworden, dass sie an bekannte Zeichen anknüpft. Damit es die Menschen besser verstehen. So ist aus Gottes Vergebung hier eine „halbe“ kultische geworden, zwar mit Blut, aber nicht im Tempel, zwar zur Sühne, aber nicht als gesetzlich vorgeschriebene und im Ritual festgelegte, zwar grausam, aber nicht wegen des Zornes Gottes, sondern wegen des Hasses der Menschen. Aber dem Verlangen der Menschen nach Gewissheit kommt Gott dadurch entgegen, dass sie die wesentlichen Zeichen erkennen können. So gelangen wir zu einer Gewissheit, die alle frühere übersteigt. Früher konnten die Menschen, die um Vergebung baten, nur darauf hoffen, dass Gott sie erhöre. Das ist jetzt anders: Deshalb hat Jesus beim Abendmahl den neuen Bund gestiftet. Er hat gewissermaßen notariell mit seinem Blut besiegelt, dass jetzt der neue Bund der Sündenvergebung gilt. Und er hat nicht einfach die Menschen beten lassen, sondern die Gewissheit der Erhörung in die Erde eingerammt, so wie das Kreuz auf Golgotha steht, unübersehbar. ..."

Klaus Berger, Die Tagespost/Zenit

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